Pflegebedürftig
Pflegebedürftig
Oma Schletzmann sitzt in ihrem neuen Rollstuhl in der Küche und ist ein bisschen stolz: Darauf, dass sie nun in diesem glitzernden Gefährt von anderen geschoben wird - wann hat sich je so viel Mühe mit ihr gemacht? Und auch darauf, dass der MDK heute sie persönlich besucht hat. "Netter Junge, der Herr Doktor vom MDK", sagt Oma Schletzmann zufrieden und tut sich einen weiteren Löffel Zucker in den Kaffee.
"Pflegestufe zwei! Das ist auch das Mindeste!" sagt ihre Schwiegertochter erleichtert. "Die Angina Pectoris ist so schlimm geworden, und die offenen Beine! Und der Rücken ist ganz kaputt. Sie kann kaum aufstehen, und ohne Korsett geht's ja schon seit zehn Jahren nicht mehr. Aber die Pflegestufe hat sie hauptsächlich wegen der Demenz bekommen: Weil sie gesagt hat, sie will heute Nachmittag im Nachbardorf bei Gerti mit der neuen Hacke den Vorgarten machen."
Ich bin auch erleichtert. Die Schwiegertochter hat viel zu tun. Gut, wenn durch die Pflegestufe wenigstens die knappe Haushaltskasse etwas unterstützt wird.
Nachmittags traue ich meinen Augen nicht.
Am Fenster schiebt Oma Schletzmann ihr Fahrrad vorbei, zu Fuß, schwer auf Lenkrad und Sattel gestützt. Ich öffne das Fenster und rufe:
"Oma Schletzmann, was hast du vor?"
"Laufen kann ich nich mehr, aber mit Fahrrad geht's! Oder mit Hacke zum Aufstützen!" ruft sie fröhlich zurück.
Sie schleppt sich den Feldweg ein Stück bergauf, ich wende die Schnitzel. Wie ich wieder aufschaue, kommt Oma Schletzmann auf dem Fahrrad den Berg herabgerollt, in gefählichen Schlangenlinen, die Hacke quer auf dem Gepäckträger. Schon rollt sie an meinem Haus vorbei, mittlerweile ganz gut im Gleichgewicht. Sie biegt ab Richtung Nachbardorf. Zu Gertis Garten vermutlich. Ein bisschen früh im Jahr.
5.3.07 16:31 verlinken / kommentieren
Oma Schletzmann sitzt in ihrem neuen Rollstuhl in der Küche und ist ein bisschen stolz: Darauf, dass sie nun in diesem glitzernden Gefährt von anderen geschoben wird - wann hat sich je so viel Mühe mit ihr gemacht? Und auch darauf, dass der MDK heute sie persönlich besucht hat. "Netter Junge, der Herr Doktor vom MDK", sagt Oma Schletzmann zufrieden und tut sich einen weiteren Löffel Zucker in den Kaffee.
"Pflegestufe zwei! Das ist auch das Mindeste!" sagt ihre Schwiegertochter erleichtert. "Die Angina Pectoris ist so schlimm geworden, und die offenen Beine! Und der Rücken ist ganz kaputt. Sie kann kaum aufstehen, und ohne Korsett geht's ja schon seit zehn Jahren nicht mehr. Aber die Pflegestufe hat sie hauptsächlich wegen der Demenz bekommen: Weil sie gesagt hat, sie will heute Nachmittag im Nachbardorf bei Gerti mit der neuen Hacke den Vorgarten machen."
Ich bin auch erleichtert. Die Schwiegertochter hat viel zu tun. Gut, wenn durch die Pflegestufe wenigstens die knappe Haushaltskasse etwas unterstützt wird.
Nachmittags traue ich meinen Augen nicht.
Am Fenster schiebt Oma Schletzmann ihr Fahrrad vorbei, zu Fuß, schwer auf Lenkrad und Sattel gestützt. Ich öffne das Fenster und rufe:
"Oma Schletzmann, was hast du vor?"
"Laufen kann ich nich mehr, aber mit Fahrrad geht's! Oder mit Hacke zum Aufstützen!" ruft sie fröhlich zurück.
Sie schleppt sich den Feldweg ein Stück bergauf, ich wende die Schnitzel. Wie ich wieder aufschaue, kommt Oma Schletzmann auf dem Fahrrad den Berg herabgerollt, in gefählichen Schlangenlinen, die Hacke quer auf dem Gepäckträger. Schon rollt sie an meinem Haus vorbei, mittlerweile ganz gut im Gleichgewicht. Sie biegt ab Richtung Nachbardorf. Zu Gertis Garten vermutlich. Ein bisschen früh im Jahr.
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ama - 5. Mär, 16:54
3 Kommentare - Kommentar verfassen - 0 Trackbacks
spiritchild - 6. Mär, 10:11
Dir und Deinen wunderschönen Gesc-ich-ten: einen lieben Gruß...
testsiegerin - 19. Mär, 08:33
danke fürs morgendliche lächeln, das du mir aufs gesicht gezaubert hast.
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